KATHARINA LEWONIG

Texte

FEHLERFREUNDLICH ORDNEN

Heinrich von Kleist ist ein Stotterer. Sich vor Publikum zu formulieren ohne zwischen den Wörtern zu stolpern, ist ihm kaum möglich. Dieses unfreiwillige Staccato das die Sätze zerreißt und die Verständlichkeit des Gesagten erschwert, führt dazu, dass der Autor in der Öffentlichkeit schweigt. Nur im Zwiegespäch kann er sich ohne Selbststörungen äußern. Vor diesem Hintergrund entsteht 1805 der Text „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“. Vom geistigen Klima der Romantik beeinflusst entwickelt Kleist darin ein Loblied auf die freie Rede. Nach seiner Auffassung ermöglicht das Sprechen vor einem Zuhörer die komplexe Simultanität des Denkens zu ordnen. Was er bezogen auf den Sprechakt schreibt, lässt sich auf alle künstlerischen Prozesse übertragen. Denn es geht um die schöpferische und Gedanken klärende Kraft der Entäußerung, die sich auch über die Auseinandersetzung mit dem benutzten Material einstellt.

Wenn Katharina Lewonig ihren Blick durch das Atelier schweifen lässt, über den Arbeitstisch zu den Haufen von Blättern und Schnipseln bis hin zu den vollen Schubladen in denen auch ihr Farbarchiv lagert, vertraut sie ganz der Intuition des Augenblicks und reagiert auf das was ins Blickfeld rückt. Im Dialog mit den Farben und Papieren entsteht fröhliches Stimmengewirr welches auf dem Bildgeviert eine Ordnung erfährt. Dabei ist ein Stolpern, neu ansetzen, wieder überformen einbezogen. So komplex und unübersichtlich manche ihrer Bilder auf den ersten Blick erscheinen, bei längerer Betrachtung wird ein solides Gerüst aus bildnerischen Grundlagen sichtbar, dem sie sich hin und wieder bewusst entzieht. Das Zusammentreffen der Farben ist durch Lewonigs intensive  Beschäftigung mit Farbtheorien unterlegt und somit nie beliebig. Aus der Kenntnis ihrer Wirkung entstehen Klänge, die laut erscheinen, doch fein ausbalanciert sind. Ähnliches gilt für die einzelnen Bildelemente. Sie sind abgeleitet von der dinglichen Welt und lagern wie farbige Folien übereinander.

In seinem Buch „Die fünf Sinne. Eine Philosophie der Gemenge und Gemische“ (1985) spricht der französische Philosoph Michel Serres vom Zustand der Dinge als einem Knäuel deren Verwicklungen nicht immer aufgelöst werden können. Er sieht die uns umgebende Welt voll komplizierter Hüllen. Wo Kleist nach der schöpferischen und zugleich strukturierenden Kraft der gesprochenen Sprache sucht, beschreibt Serres Überlagerung und Verwirrung als zeitgemäße Qualität. Das Werk von Katharina Lewonig bewegt sich in diesem Spannungsfeld. Sie arbeitet daran eine „Fehlerfreundlichen Ordnung“ herzustellen. Seit einiger Zeit entstehen neben Einzelblättern auch Bildfolgen die ein Thema in unterschiedlichen Variationen deklinieren. In der Serie Hinkeln bezieht sie sich auf ein Kinderspiel dessen Ausgangspunkt ein durch Linien markiertes Spielfeld ist, in das Dinge, zumeist Steinchen, geworfen werden. Der Spieler folgt dem geworfenen Steinchen, durch einen Sprung in das Feld und schiebt dabei das Steinchen mit den Füßen weiter, um so den gesamten Parcour einzunehmen. Lewonig nimmt die Struktur des Spielfeldes als Ausgangspunkt. Durch Wiederholung bilden sich Gitterstrukturen, die an vergrößerte Gewebe, fragile Baugerüste oder urbanen Strukturen erinnern. Durch Vervielfältigung und Überlagerung kippen oder wechseln die Perspektiven innerhalb der einzelnen Bilder, ähnlich den Spielern, die bei ihren Bewegungen unterschiedliche Positionen zum Spielfeld einnehmen. Angelagerte Farbflächen und Flecken erweitern die Komposition um zusätzliche Ebenen. Beim Betrachten der Bilder aus größerer Entfernung treten einige Bildelemente deutlich hervor. Vor unseren Augen formen sich dabei tiefe Bildräume. Dieser Effekt lässt sich auf die Erfahrungen der Künstlerin am Theater zurückführen. Sie scheint den Blick aus großer Entfernung verinnerlicht zu haben. So werden ihre Bilder zu Bühnen auf denen die Formen und Farben ihren Auftritt haben und sich dabei frei entfalten.

Susanne Greinke. 2021

FALTUNGEN

Falten | Plissieren | Origami | Kniffen | Falzen    in der Stochastik ist es ein Vorgang, der zwei Wahrscheinlichkeitsmerkmale zu einem neuen Maß kombiniert. In meinem Vorgang entwickeln sich aus einem zufälligen Stück Papier und meinem spielerischem Tun der Hände eine neue Form.

Dieses Spiel entwickelte sich zu einer bewussten Entscheidung der Maße für die Ausgangsform des Papierblattes und daraus entstanden neue  Formen in einer bestimmten Größe aber mit unterschiedlichen Faltungsmerkmalen. Die Oberfläche war nicht mehr glatt, sondern hatte verschiedene Ebenen, war reliefartig und damit waren eine Fülle von Kombinationen der zeichnerischen und malerischen Weiterverarbeitung gegeben.

Das Maß der Fläche ist entscheidend für die Größe des neu entstehenden Objektes, dieses dann wieder entfaltet hinterlässt auf der Fläche Linien, die einen bestimmten Rhythmus vorgeben.

Aus einem fast alltäglichem Spiel mit Papier entwickeln sich kleine Unikate, die als Fundstücke gesammelt einen Fundus an Möglichkeiten darstellen, dabei aber auch in weiteren Kombinationen  Größe und Material variieren lassen.

Katharina Lewonig, April 2020

FALTUNGEN

ein spiel der möglichkeiten

von der glatten papierfläche

29,7 x 21 cm

zu reliefartigen gebilden

und neuen formen

die wiederum durch zeichnen

und drucken auf die fläche zurück kehren

Faltungen – ein Spiel der Möglichkeiten

Seit ungefähr zwei Jahren begleiten mich meine „Faltungen“ in allen möglichen Spielarten – als kleine Objekte, als Drucke in verschiedenen Formen, als Malerei, als Collagen. Begonnen als Faltobjekte aus einem A4 Papierbogen, verwandelt zu flachen Druckvorlagen, entfaltet und die Falzlinien gezeichnet entstanden immer wieder neue „Gebilde“ und abstrahierte Formen. Insgesamt ist es ein großer Komplex von vielfältigen “ Metamorphosen“

Katharina Lewonig, Mai 2019

SIGNALFLAGGENBUCH FÜR BÖHMEN

 Farbsysthemordnung BÖH / S

 

 Böh  –  3027   s.rot

 Böh  –  1018   z.gelb

 Böh  –  6032   s.böh-ultragrün

 Böh  –  9001   s.cremserweiss

 Böh  –  9005   s.tiefschwarz

Signalflaggenbuch für Böhmen

wurde für Böhmen entwickelt, weil es am Meer (Ingeborg Bachmann) und schon lange  an M(a)eeren (Milena Oda) liegt.

Seit 1817 gibt es ein Signalbuch für die Handelsmarine und seit dieser Zeit wird es ständig erweitert.

Für Böhmen ist es nun speziell, weil Böhmen die wunderbare Grüne Böhmische Erde hat und sich dazu das kostbare Ultramarinblau, das Ultra Maare – nämlich über das Meer kommende – geholt hat und so eine besondere Farbkombination für die böhmischen Signalfahnen  und Signalfarben entwickelt werden konnte. So kann die böhmische Marine sich auf allen Weltmeeren verständigen und auch über die Wellenberge hinaus Zeichen aussenden.

Katharina Lewonig, November 2010

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